Smart ist er. Die Hemdsärmel lässig hochgekrempelt. Sehr gepflegte Hände, sauber geschnittene Fingernägel. Mit Pomade zurückgelegte, schwarz glänzende Haare. Ein wacher, aufmerksamer Blick. Den Fünf-Sterne-Mann nannte Interpol ihn, als die Ermittler ihn im Jahr 2007 in Paris im Flugzeug verhafteten. In der Business-Class natürlich.
Francesco M. war jahrelang durch Europa gejettet, hatte nur in Luxushotels gelebt. Interpol warf ihm vor, das alles mit gefälschten Kreditkartendaten finanziert zu haben. Eine Rechnung von über einer Million Euro soll er so fabriziert haben. Mal gab er sich als Francesco Martinez aus. Mal als Francesco Armani. In Berlin ließ er sich als Erbe eines italienischen Modeimperiums hofieren und nannte sich Francesco Fendi. Zu dieser Zeit war er 24 Jahre alt. „Ich bin Künstler. Ich sehe mich nicht als Kriminellen“, sagt er. Er ist jetzt 28. Und er ist der Einzige, der ein Oberhemd trägt im Besucherzimmer der Justizvollzugsanstalt Moabit in Berlin.
Gentleman-Hochstapler sind die A-Klasse unter den Betrügern, sie rangieren weit über ihren kleinkriminellen Kollegen. Sie faszinieren, weil sie trickreich vorgaukeln, ein glamouröses Leben zu führen und ihre Umgebung an dessen Glanz teilhaben lassen.
Der Reiz der Behaglichkeit
Francesco M. entdeckt früh seine Leidenschaft für den Glanz. Er wächst in Kalabrien auf, dem ärmlichen Landstrich im Süden Italiens, der von der ‚Ndrangheta beherrscht wird, der mächtigsten Mafia-Organisation Europas. Seine Mutter verlässt die Familie, als er drei Jahre alt ist. Mit drei Geschwistern wächst er bei seinem Vater, einem Möbelunternehmer, auf. Als er zehn Jahre alt ist, stirbt sein Vater an Krebs. „Das hat mich zerstört“, sagt Francesco M. heute. „Er zog mich groß.“
Der Junge kommt in ein Kinderheim. Er ist einer der besten Schüler, bekommt nach dem Abitur ein Angebot für ein Universitäts-Stipendium, doch er kann sich noch nicht einmal die zusätzlich anfallenden Studiengebühren leisten. Als er eine Hotelfachschule in Mailand besucht, lernt er nicht nur sein Handwerk; er findet auch seine Berufung. Er erkundet die internen Mechanismen und Abläufe des Hotelbetriebs, und er entdeckt den Reiz der Behaglichkeit unter Fremden.
Einmal, am Ende seiner Ausbildungszeit, darf er in Rom selber Hotelgast sein, um den Blick von der anderen Seite zu kennen. Von da an will Francesco M. nur noch auf dieser Seite leben. Die Hotels werden zu seinem Zuhause. Gleichzeitig lernt er einen Senator und einen bekannten italienischen Entertainer kennen und erhascht einen ersten Blick in die High Society. Auch diese Welt fasziniert ihn. Er möchte dazugehören. Er behauptet, dass seine Familie ein großes Unternehmen besitze. Diese Lüge ist sein Eintritt in die Welt der Täuschung.
Wenige Jahre später, mit Anfang zwanzig, hat er es geschafft. Er arbeitet nicht, er betrügt mit gestohlenen Daten von Kreditkarten. Das jedenfalls wird ihm später die Justiz vorwerfen. Doch die ist zu dieser Zeit noch weit entfernt. Francesco M. reist in alle europäischen Metropolen, steigt nur in den besten Hotels ab.
Wenn er von seinem Jet-Set-Leben und den Hotels erzählt, wird er lebendig, er gestikuliert mit ausladenden Handbewegungen, und seine dunkle ruhige Stimme erhebt sich über das sonst gedämpfte Gemurmel im Besucherzimmer des Gefängnisses. „Wenn du nach Paris reist, passt eine kleine Pension einfach nicht. Du steigst besser in einem Fünf-Sterne-Hotel ab“, sagt Francesco M. Fünf-Sterne-Hotels sind seine Welt gewesen. Das Paris Marriott Hotel Champs-Elysées, das Intercontinental Amstel Amsterdam, das London Hilton on Park Lane oder das Four Seasons Hotel Ritz Lissabon. „Nachdem ich es angefangen hatte, begann ich es zu mögen. Es ist wie eine Droge. Du brauchst es. Manchmal nahm ich drei Flüge an einem Tag. Ich mochte es, am selben Tag in zwei oder drei Städten zu sein.“
Ein Leben wie im Film. Auch der Hochstapler und Scheckbetrüger Frank W. Abagnale, dessen Leben in dem Hollywood-Blockbuster „Catch Me If You Can“ mit Leonardo DiCaprio verfilmt worden ist, landet seine größten Coups in jungen Jahren. Er stammte ebenfalls aus einer zerbrochenen Familie und wuchs größtenteils ohne Mutter auf. Er gab sich als Co-Pilot, Staatsanwalt und Arzt aus und jettete quer durch die Welt wie ein Getriebener. Genau wie Francesco M. Dieser wohnt in mehr als 200 Hotels pro Jahr. Die Adressen lesen sich wie das Who-is-Who der edelsten Häuser Europas. Aber wer er selbst überhaupt ist, das weiß Francesco M. immer weniger.
Nach fünf Jahren, er ist gerade in Venedig, überkommt ihn eine Depression. Er hat sich verirrt in den zahlreichen falschen Ichs, den Täuschungsmanövern und Betrügereien. „Ich wusste nicht mehr, wer ich war“, sagt er. „Ich wollte ein normales Leben führen. Aber wenn du Luxus gewöhnt bist, kannst du nicht einfach wieder arbeiten.“ Also macht er weiter.
Ein Gentleman-Hochstapler muss gepflegt auftreten, muss Konversation machen können und Manieren haben. Vor allem aber muss er über ein vortreffliches Einfühlungsvermögen verfügen. Francesco M. taxiert sein Gegenüber die ganze Zeit über durch die Glasscheibe, die die Tische im Besucherzimmer trennt, tastet es ab auf Reaktionen. Mit seinen Augen sucht er immer den Blickkontakt, so als wolle er die Situation nicht aus der Hand geben. Er vergewissert sich immer der vollen Aufmerksamkeit. Er versteht es, sich auf Menschen einzustellen und die Vorstellung, die man sich von ihm gemacht hat, zu erfüllen. Nachdem im Gespräch der Begriff Gentleman-Hochstapler gefallen ist, benutzt er immer wieder den Begriff Gentleman und bezeichnet sich als solchen.
Was ist Luxus?
Zur Staffage eines Gentleman-Betrügers gehören luxuriöse Kleidung und edle Accessoires. Bei seiner ersten Verhaftung 2007 am Pariser Flughafen werden vor allem Luxusartikel bei ihm sichergestellt, ein Brillenetui von Ray Ban, eine Boss-Jacke, eine Strickjacke von Dolce & Gabbana, ein Kulturbeutel aus dem Ritz-Carlton. Vielleicht ist es so, dass Francesco M. versucht hat, das Fehlen einer eigenen stabilen Identität durch das Anhäufen von Marken-Identitäten auszugleichen. Was ist Luxus für ihn? „Für mich ist es Luxus, schöne Schuhe zu tragen“, sagt er. „Italienische von Dolce & Gabbana oder Cesare Paciotti für 500 Euro. Ein maßgeschneiderter Anzug, eine Rolex, Wellness, Spa, Friseur, Gesichtsmaske, Maniküre.“
Freunde hat Francesco M. keine. Er kennt ein paar Prominente, den Fußballer Franck Ribéry zum Beispiel. Als er diesen in der Vip-Lounge des Berliner Clubs Felix trifft, geht der davon aus, dass Francesco M. ein Mafioso ist. Francesco M. lässt ihn in dem Glauben.
Im Jahr 2006 sieht man ihn auf der Klatschseite einer Berliner Boulevardzeitung im Arm des „Star-Designers Nello Caponetto“, der auch für Papst Benedikt XVI. Kleidung entwirft. Die Bildunterzeile lautet: „Designer Francesco Fendi“. Das Foto ist im Charlottenburger Edel-Restaurant „Ovest“ aufgenommen worden, wo M. häufig verkehrt.
Dort erinnert man sich heute nicht gerne an ihn. Der Mitarbeiter Nicola Talo, der häufiger mit Francesco M. zu tun hatte, will überhaupt nichts über ihn sagen. Er ist so verärgert, dass er nicht an ihn erinnert werden möchte. Auch der Besitzer Maurizio Fricchione reagiert aufgebracht, wenn man ihn auf den Hochstapler anspricht. Er beschreibt ihn als charmant, gewitzt und sehr spendierfreudig. „Er war sehr aufmerksam und hat Anschluss gesucht. Wir haben ihm abgenommen, dass er Fendi-Erbe ist.“ Er sei in einem SEC Mercedes Mietwagen vorgefahren, habe im Ritz-Carlton gewohnt oder im Hyatt, er sei immer gut gekleidet gewesen. „Er hat rumgeprahlt, wenn wir Möbel bräuchten von Fendi, könne er sie uns günstig besorgen. Und er hat immer ein bisschen angegeben, hatte Fotos mit Promis auf Sardinien und sonst wo. Er hat seine Rolle ganz gut gespielt.“
Der gut aussehende, spendable Gast mit den dunklen Haaren und dem schelmischen Lächeln, wie ihn eine Gesellschafts-Reporterin in dieser Zeit beschrieb, ist wohl auch eine Art Womanizer gewesen, der vielen Mädchen gefiel. Über Francesco M. ist in der Zeitung zu lesen: „Immer elegant (nur Fendi, Dolce & Gabbana oder Gucci). Ein Mann, nach dem sich die Mädels die Hälse verrenkten. Witzig und spendabel (Champagner).“ Nachdem er als Betrüger aufgeflogen ist, bleibt auch für das „Ovest“ ein Imageschaden: „Im Nachhinein fühlt man sich ausgenutzt. Wir haben ihn hier aufgenommen, ihn anderen vorgestellt. Ich bin sehr enttäuscht von ihm“, sagt Maurizio Fricchione.
Nur zweimal ist Francesco M. mit seiner Kunst, wie er es nennt, aufgeflogen. Jedes Mal, weil er die Grenzen seines eigentlichen Metiers übertreten hat. Einmal lässt er sich, wie er sagt, zu einem Banküberfall überreden. Eine Postbank-Filiale in Berlin-Zehlendorf. Die mickrige Ausbeute: 190 Euro. Ein Fingerabdruck auf einem Überweisungsschein überführt ihn.
Und einmal überschätzt er sich. Er steigt über ein Fenster zum Hof in ein Zimmer des Hotel Adlon ein. Er sagt heute, er habe sich an dem Hotel rächen wollen, weil ihm ein Bekannter ein Zimmer reserviert hatte, dessen Kreditkarte nicht gedeckt war. Er, Francesco M., bekam den Ärger dafür.
Er stiftet Unordnung im Zimmer eines Gastes, dann entdeckt er den Tresor. Ein Dieb hätte vielleicht versucht, ihn zu knacken. Doch Francesco M. nutzt sein Insiderwissen. Er zieht seine Schuhe aus und ruft über das Haustelefon an der Rezeption an. Er verlangte nach einem Haustechniker. Barfuß öffnet Francesco M. diesem die Tür und sagt, dass er den Code für seinen Tresor vergessen habe. Der Techniker schöpft keinen Verdacht und öffnet den Tresor mit einem Generalcode. Francesco M. dankt ihm höflich und gibt ihm Trinkgeld. Im Tresor findet er einen Laptop, einen Reisepass und 200 US-Dollar. Den Laptop, die Dokumente und eine Flasche Champagner drapiert er auf einen Tisch, dazu legt er einen Zettel mit den Worten „Fuck you“. Das Geld steckt er ein. „Der Zettel war nicht an den Gast, sondern an das Hotel gerichtet. Ich wollte das Adlon mitten ins Herz treffen. Seinem Image schaden.“ Fast wäre ihm dies gelungen. Doch wenige Stunden später, der Einbruch ist bereits gemeldet und die Spurensicherung der Polizei noch im Haus, entdeckt ihn der Techniker an der Hausbar. Francesco M. hat sich verzockt.
„Beim Hochstapeln ist es wie beim Pokern: Man spielt nicht sein Blatt, sondern sein Gegenüber“, sagt der Regisseur Alexander Adolph, der den Dokumentarfilm „Die Hochstapler“ über vier wegen Betrugs verurteilte Straftäter gedreht hat. In diesem Fall hat Francesco M. sein Gegenüber unterschätzt.
Die Rache
Die Staatsanwaltschaft Berlin klagt Francesco M. wegen Einbruchdiebstahls an, er wird jedoch lediglich wegen Diebstahls zu sieben Monaten verurteilt. Laut Gericht weist alles darauf hin, dass er ins Adlon eingestiegen ist, um sich zu rächen und dass er sich erst im Zimmer entschloss, etwas zu stehlen. Gegen das aus ihrer Sicht zu milde Urteil legt die Staatsanwaltschaft Berufung ein – am 18. Februar entscheidet das Landgericht erneut über Francesco M.
Sein Verteidiger, der Rechtsanwalt Daniel Wölky, sieht dem Urteil gelassen entgegen: „Bereits das Schöffengericht hat die Tat zutreffend als einfachen Diebstahl bewertet. Ich rechne nicht mit einer höheren Strafe.“ Zu den Vorwürfen des Kreditkartenbetrugs sagt Daniel Wölky: „Mein Mandant ist für diese Vorwürfe nicht verurteilt.“ Die Justiz habe ihm das nicht stichhaltig nachweisen können.
Nicht mehr Abflug- und Cluböffnungszeiten, sondern der monotone Häftlings-Tagesablauf takten jetzt das Leben von Francesco M. hinter den Mauern des denkmalgeschützten Gefängnisses. 6.15 Uhr wecken, 6.45 Uhr Frühstück, 7.30 Uhr Hofgang, 11.45 Uhr Mittagessen, 12.30 bis 15 Uhr Umschluss, 15 Uhr Abendessen, 16.45Uhr Ausgabe von Schreibpapier, danach Nachtverschluss. Doch er hat sich ein kleines Stückchen Freiheit eingebaut. Um 19 Uhr wird er zum Gefängnispfarrer gelassen, zu dem er ein sehr enges Verhältnis hat und mit dem er plaudern kann. Er ist religiös, er schätzt die geistreichen Gespräche. Am meisten vermisst er die Freiheit, sagt er, aber auch die Annehmlichkeiten des Luxus, die Spas, das Nachtleben, die Frauen und das gute Essen. Seine Leidenschaft für Hotels ist noch nicht erloschen. Wenn er seine Strafe abgesessen hat, möchte er ein Fünf-Sterne-Hotel in Mailand oder Barcelona eröffnen. Nur ein kleines.
Das ist seine Geschichte. Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch nur eine von vielen.