Hauptsache, es regnet nicht

So richtig Urlaubsstimmung ist nicht mehr in Scharm al-Scheich, aber wenigstens redet keiner mehr von Haien. Die Proteste in Kairo lassen die deutschen Urlauber eher kalt. Aus Scharm al-Scheich Pamo Roth

Vor dem Gate A 22 in der Abflughalle in Nürnberg ist fast nur das Rascheln der Tageszeitungen zu hören, hinter denen die meisten Wartenden ihre Köpfe verschanzt haben. Es ist vor allem ein Thema, das die Fluggäste nach Scharm al-Scheich, einem der wichtigsten Tourismusorte Ägyptens, zu bewegen scheint. „Sonne ist.“ – „Na, Hauptsache, es regnet nicht“, tauscht sich eine Reisegruppe älterer Herrschaften in aufeinander abgestimmten Beigetönen aus.

Die Proteste auf den Straßen Kairos, die auf den Titeln der Zeitungen gezeigt werden, scheinen die meisten hier eher kaltzulassen. „Die Urlaubsgebiete sollen ja ruhig sein. Hauptsache, die lassen uns nicht verhungern“, sagt eine ältere Frau in Begleitung ihres Mannes. Der ergänzt: „Außerdem ist ja das Militär im Sinai. Da fühlen wir uns sicher.“ Sie wollen für vier Wochen ans Rote Meer reisen und strahlen Optimismus aus. „Sonst werden wir halt ausgeflogen. Da vertrauen wir den deutschen Behörden.“

Auch die Hamburgerin Marina Heise, 48, gehört zu den wenigen, die sich trotz der verschärften Reisehinweise des Auswärtigen Amtes nicht von ihren Urlaubsplänen abbringen ließ. Seit einem Unfall sitzt sie im Rollstuhl. „Ich habe keine Angst, aber ich genieße es mit Vorsicht.“ Ohne ihren Bruder wäre sie nicht geflogen. Der sei schon öfter in gefährlichen Gebieten unterwegs gewesen.

Stephan Huth, 42, war viele Jahre beim Militär und bezeichnet sich selbst als Weltenbummler. „Die Lage ist undurchsichtig, aber nicht gefährlich“, analysiert er. Was er viel bedenklicher finde, seien die tausenden geflohenen Häftlinge. „Und notfalls fliegt uns das Militär raus.“

Eine unangenehme Diskrepanz empfindet die 26-jährige Bürokauffrau Karin Blechinger angesichts ihres Urlaubs: „Wir liegen in einer Deluxe-Anlage, und drum herum müssen die Menschen um ihr Recht auf ein besseres Leben kämpfen. Da ist schon ein fader Beigeschmack dabei.“ Dann pustet sie eine lila Strähne aus dem Gesicht und lacht. Ihre Kollegin sei aber viel schlimmer dran. Diese habe erst nach Tunesien fahren wollen und dann umgebucht auf Ägypten. „Die fliegt jetzt auch da hin.“

„Bombenstimmung“

Bei der Passkontrolle flötet die blonde Zollbeamtin mit Blick auf eine Sonnenbrille fröhlich: „Geht bestimmt nach Ägypten. Da ist jetzt sicher eine Bombenstimmung.“ Ihr schnauzbärtiger Kollege versucht die Situation mit einem sachdienlichen Hinweis zu beschwichtigen: „Bei der Morgenbesprechung hat man uns gesagt, die Hälfte hat die Reise abgesagt.“ Tatsächlich ist die Abbrecherquote noch viel höher. Nur 50 von ursprünglich 280 Reisenden finden sich im verwaisten Großraumflugzeug ein.

Angekommen in Scharm al-Scheich trotten sie verloren in die leere Empfangshalle. Dafür herrscht Gedränge im Abflugbereich gegenüber. Vor allem Familien mit Kindern brechen ihren Urlaub ab. Dänemark und Schweden rufen Urlauber zurück. Viele Deutsche, Franzosen und Holländer folgen. Eine dänische Familie mit zwei kleinen Kindern ist erst vor zwei Tagen angekommen. „Da sagte man uns noch, es sei alles okay“, sagt der Vater. Eigentlich wollten sie drei Wochen bleiben. „Jetzt heißt es, wir sollen lieber zurück.“

Der Schalterbeamte am Informationsservice des Flughafens, Disouky, 36, drückt drastisch das aus, was hinter den fassungslosen Gesichtern vieler Reisebegleiter vorgehen mag, die vergebens mit ihren Schildern auf ankommende Urlauber warten: „You are facing a desaster.“

Der letzte ähnlich desaströse Urlauberschwund, an den sich der Reisebegleiter Remon Asis erinnern kann, war nach den Bombenanschlägen 2005 in Scharm al-Scheich. Der 28-Jährige arbeitet seit seinem 19. Lebensjahr im Touristikbereich. Seine Familie wohnt in der Nähe von Kairo und hat ihm gesagt, er solle bloß im Sinai bleiben. Da sei er sicherer. „Hier ist es ruhig, weil alle Arbeit haben und nur den Nachteil vom Protest sehen: dass die Urlauber nicht mehr kommen.“ Die Hotels hätten schon viele ihrer Mitarbeiter nach Hause geschickt.

Normalerweise seien um diese Zeit mehr Touristen als Ägypter in der zentralen Fußgängerzone. Jetzt schlendern vereinzelte Urlauber entlang, aber vor allem sieht man viele junge Ägypter, die vor den Läden sitzen, in denen nichts mehr los ist. Von dem Militär, das Berichten zufolge nach Scharm al-Scheich gekommen sein soll, ist in der ganzen Stadt nichts zu sehen. Auch die Polizei will nichts vom Militär wissen. Dort heißt es, die Sicherheitslage sei ganz normal, und es seien nicht mehr Beamte als sonst eingesetzt.

Tatsächlich ist das Tourismusgebiet auf der Sinai-Halbinsel eine abgekapselte, künstlich hingebaute Welt, dort, wo vorher einfach nur ein kleines Fischerdorf war und Wüste mit wenigen Beduinen. Alle, die hier arbeiten, stammen aus anderen Teilen Ägyptens, wo ihre Familien noch wohnen.

Nur Bargeld gibt es nicht

Von der Krise merkt man hier nichts, außer daran, was fehlt: An keinem Geldautomaten gibt es mehr Bargeld. Die Banken sind geschlossen. Auch der Sprit wird langsam knapp, sodass die Taxipreise trotz Nebensaison schon in die Höhe schießen. Im Minibus bekennt ein junger Mann in rotem T-Shirt: „Ich liebe Mubarak. 30 Jahre haben wir in Frieden gelebt.“ Sofort fährt der Kopf eines anderen jungen Mannes herum: „Ich habe Arbeit, trotzdem möchte ich, dass Mubarak abtritt. Wer das Internet abstellt, hat etwas zu verbergen und möchte die Diskussion beenden.“

Nachdem der ägyptische Präsident Husni Mubarak am Dienstag erklärte, in sechs Monaten abzudanken, funktioniert am Tag darauf das Internet zwar wieder, doch an der Abwanderungsbewegung hat sich nichts geändert. Jedes Jahr fährt das belgische Ehepaar Missault aus Brügge in dasselbe Hotel in der Naama Bay. Seit einer Woche sind sie hier. „Sonst ist der Strand um diese Zeit voll, dieses Jahr war es nur die Hälfte, und inzwischen ist nur noch 5 Prozent belegt“, sagt Norbert Missault, 71.

Nur in den ersten zwei Reihen der Strandliegen haben sich ein paar Sonnenhungrige verteilt. Familien mit Kindern sieht man gar nicht mehr. Innerhalb von zwei Tagen hätten schon 4.500 Niederländer Ägypten verlassen. Auch die Missaults fliegen morgen zurück, obwohl sie eigentlich drei Wochen bleiben wollten. Die Reisegesellschaft sagte ihnen zwar, sie seien noch sicher, aber bei ihrem Sohn, der morgen kommen sollte, hieß es, er dürfe nicht fliegen, weil es nicht sicher sei. „Da stimmt doch etwas nicht. Wenn es nicht 100 Prozent sicher ist, fliegen wir auch zurück“, sagt Christiane Missault, 70. In der ganzen Woche, in der sei hier seien, hätten sie nur telefoniert. „Das ist ja kein Urlaub.“

Auf einer Bank neben der Hauptstraße sitzt der 23-jährige Mustafa Ahmed Oseme und starrt auf sein Handy. Er arbeitet eigentlich an der Rezeption im Hotel Regent, ist aber am Morgen gefeuert worden. „Ich bin freigestellt mit offenem Ende. 80 Prozent der Belegschaft ist nach Hause geschickt worden.“

In der Tasche hat er schon ein Busticket nach Kairo, wo auch seine Familie wohnt. „Morgen bin ich bei den Protesten dabei. Mubarak muss verschwinden. Ich bin froh, dass ich die Chance habe, Teil dieser historischen Situation zu sein.“ Er hat an der zweitgrößten Universität Ägyptens, der Helwan University, Wirtschaftswissenschaften studiert. Seit seinem Abschluss im Juni 2010 hat er keine Arbeit gefunden und ist deswegen hier gelandet. „Ich arbeite von Tag zu Tag, ohne Sicherheit und kann wie jetzt einfach rausgeschmissen werden.“

Er arbeitet 12 Stunden am Tag, 30 Tage im Monat, dann hat er 10 Tage frei. Von seinem Verdienst von 800 ägyptischen Pfund hat er in diesem Monat ein Viertel weniger bekommen.

Kurz gib es „Mubarak“-Rufe

Als am Mittwochnachmittag in Kairo die Regierungsgegner von Mubarak-Anhängern angegriffen werden, hallen auch kurz einige „Mubarak“-Rufe durch Scharm al-Scheich. Das Grüppchen, das dazu hupend durch die Straße fährt, ist aber ebenso schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht ist.

Hier bekennen sich erstaunlich viele zu dem sonst so verhassten Präsidenten, wahrscheinlich, weil es den Menschen hier im Gegensatz zum Rest des Landes relativ gut geht wie zum Beispiel dem Restaurantbesitzer Dia, 43: „Wir sollten ihn respektieren. Er geht in sechs Monaten, und jetzt müssen die Proteste aufhören. Wir sind nicht Afrika. Wir wollen keine Aufstände in unserem Land.“ 

Dass so viele Ägypter in Scharm al-Scheich Mubarak-freundlich eingestellt sind, überrascht auch die Britin Corri, 43, die seit fünf Jahren hier als Tauchlehrerin arbeitet. Nur zwei der rund 30 Mitarbeiter des Tauchcenterc, zu dem auch ein Hotel gehört, seien regierungskritisch. „Wie wichtig mehr Redefreiheit hier wäre, merkt man doch daran, dass all die Jahre nie offen über die Regierung geredet wurde, und jetzt diskutieren alle darüber.“

Sie und ihr Kollege Kevin, 47, sind um acht Uhr abends die einzigen Gäste in dem Restaurant. Nach wie vor bekomme sie aber noch Buchungen für Februar, allerdings nur von Briten und Russen. Kevin erklärt das so: „Wir Briten haben Irland. Wir kennen terroristische Anschläge und Aufstände. Das lässt uns kalt.“

Eine viel schlimmere Krise habe den Tourismus zuvor heimgesucht: Vor zwei Monaten hat es fünf Haiangriffe an der Küste gegeben, einer davon war tödlich. „Das war ein viel schlimmeres Imageproblem für Scharm al-Scheich. Das wurde hoch und runter geschrieben in der britischen Presse und hat einen enormen Einbruch im Tourismus zur Folge gehabt.“ Insofern hat die angespannte Sicherheitslage durch die Proteste zumindest für diesen Sektor sein Gutes: Von Haien redet hier niemand mehr.

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