Die Löwenbändigerin

Sie war die erste schwarze Anwältin Malawis und Frau eines Unabhängigkeitskämpfers, der auf ungeklärte Weise in einem Gefängnis starb, in dem auch sie zwölf Jahre lang eingesperrt war. Heute kämpft die Menschenrechtsaktivistin Vera Chirwa für die Rechte von minderjährigen Häftlingen

Die Dämmerung wechselt in der afrikanischen Steppe minutenschnell zur Nacht. Es ist gerade dunkel geworden am Weihnachtsabend 1981 auf der schmalen sambischen Landstraße, auf dem der Wagen der Chirwas seinen Weg zu einem politischen Treffen auf einer Farm an der Grenze zu Malawi sucht. Plötzlich versperrt ein Auto den Weg. Der Fahrer bremst abrupt und steigt aus. Ein Mann reißt die Tür auf: „Jetzt haben wir euch!“ Andere kommen aus den Büschen. Sie ziehen Vera, Orton und ihren Sohn aus dem Wagen und schlagen auf sie ein. Als sie Vera das Armband abreißen, bricht ihr Schultergelenk. Während ihr die Augen verbunden werden und sie das warme Blut spürt, denkt sie noch, sie seien in die Hände von Räubern gefallen. Doch es ist die Geheimpolizei des malawischen Diktators Hastings Kamuzu Banda.

Der Diktator, der seinen Feinden droht, sie den Krokodilen zum Fraß vorzuwerfen, wird wegen seiner dunklen, rauen Stimme auch der „Löwe von Malawi“ genannt. Ihn hatten sie herausgefordert. Zwölf Jahre würde er versuchen, ihren Willen zu brechen. Glücklicherweise wird ihr die Willensstärke in die Wiege gelegt: Ihr Vater arbeitet als Arzt, die Mutter als Lehrerin – politisch progressive Menschen, die den Rassismus nicht widerspruchslos hinnehmen und alles tun, damit Vera eine höhere Schule besuchen kann. Unkonventionell für diese Zeit in einer traditionellen Kultur. Noch unkonventioneller, dass sie sich in ihren Lehrer verliebt und ihn heiratet – auch, weil er ihr verspricht, dass sie studieren kann: Orton Chirwa.

Er imponiert ihr wegen seines Gerechtigkeitssinns und seines Strebens, Malawi aus der kolonialen Unterdrückung der Briten zu befreien. Er wird zum Freiheitskämpfer für die Unabhängigkeit, zuerst als Anwalt während der Entkolonialisierung, dann als Justizminister in der neu erwachten Republik. Doch obwohl er selbst die Regierungspartei gründet und Präsident Banda installiert, wird er diesem schnell unbequem und muss 1964 nach zwei Mordversuchen fliehen. Im Exil in Tansania gründet er 1977 die Untergrundbewegung MAFREMO (Malawi Freedom Movement) – das wird zu ihrem Verhängnis. Sie werden des Hochverrats angeklagt, weil sie nach Malawi gekommen seien, um den Diktator zu ermorden. Kein Wort davon, dass das Paar aus Sambia entführt wurden. Ihren Gerechtigkeitssinn beweisen sie vor Gericht: Obwohl wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt, erhalten sie keine Anwälte und verteidigen sich selbst, gegenseitig. Es ist ein unfairer Prozess: Ein Gericht mit Laienrichtern und einzig Zeugen der Anklage, die überwiegend Polizisten sind, spricht sie schuldig und verurteilt sie zum Tode. „Es war wie eine Inquisition. Es gab keinen Beweis für unsere Schuld“, sagen sie später.

Ihr ungebrochener Wille hilft Vera durch die harten Jahre der Gefangenschaft, in denen sie körperliche und seelische Qualen erdulden muss: „Wir waren monatelang Tag und Nacht an Händen und Füßen gefesselt in Isolationshaft. Unsere Badezimmer waren Eimer.“ Über Jahre werden ihr im Hochsicherheitsgefängnis weder Buch noch Stift, noch Kontakt zur Außenwelt erlaubt. Dass die Todesstrafe im Jahr 1984 in lebenslange Haft umgewandelt wird, erfährt sie erst viel später. Zu diesem Zeitpunkt ist ihr Mann, den sie nur noch zweimal sehen durfte, bereits tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Die Todesursache ist bis heute nicht geklärt. Der Obduktionsbericht wurde nie veröffentlicht.

Erst als sie am 24. Januar 1993 aus humanitären Gründen freigelassen wird, erfährt sie von der breiten Solidarisierungskampagne, die den nötigen Druck aufbaute, und „wie Amnesty International sich unermüdlich für unsere Befreiung einsetzte und die Briefe ihrer Mitglieder das Büro von Banda über Jahre überschwemmten.“ Amnesty ermöglichte ihr, dass sie ihre Kinder besuchen konnte, die verstreut in der Welt von Sambia bis Kanada lebten. Doch als ihr Amnesty aus Sorge vor einem erneuten Übergriff eine Stelle in Genf anbietet, lehnt sie ab: „Ich hatte den Auftrag, die Malawis über ihre Rechte aufzuklären. Der Kampf für Gerechtigkeit führt mich durchs Leben, und im Gefängnis habe ich mir geschworen, falls ich rauskommen sollte, werde ich mein Leben den Malawis widmen.“ Aus dieser Überzeugung heraus gründet sie „CARER“ (Malawi Center for Advice, Research and Education on Rights), eine Rechtshilfe-Initiative, die „Paralegals“ ausbildet, die wiederum in den kleinen Orten auf dem Lande die Menschen über ihre Rechte aufklären – die Verfassung, Arbeiter- und Frauenrechte. Außerdem stellt die Initiative allen Gefangenen, der es sich nicht leisten können, einen Anwalt zur Seite. Seitdem „CARER“ seit ein paar Jahren nicht mehr von US AID unterstützt wird, ist diese so notwendige Instanz schwächer geworden. Die Konsequenzen sind bitter spürbar.

Bei einem Besuch in einem der umstrittensten Gefängnisse in Malawi, dem „Maula Prison“ in Lilongwe, wissen die jugendlichen Häftlinge nicht einmal, dass ihnen ein Anwalt zusteht: „Aber den könnten wir sowieso nicht bezahlen.“ Auch das Recht auf ausreichend Nahrung, einen würdigen Schlafplatz und einen angemessenen Hygienestandard kennen sie nicht. Sie schlafen auf einer Wolldecke auf dem Betonboden, Körper an Körper: „Wir teilen uns alle eine Toilette“, 120 Gefangene in einer Großraumzelle. Das hat dramatische Konsequenzen: Auf engstem Raum breiten sich hier rasant Krankheiten wie Tuberkulose und Seuchen wie Aids aus. Es kommt vor, dass Inhaftierte in den Gefängnissen vergessen werden.

Von der Tageszeitung „Malawi Nation“ wird Vera 2003 zur Frau des Jahres gewählt. Bereits zehn Jahre zuvor war der Diktator durch ein Referendum gezwungen worden, abzutreten. Nur wenige Jahre nach dem Machtverlust starb er. Vera Chirwa hat sich nicht von dem „Löwen von Malawi“ einschüchtern lassen, und sie hat ihn überlebt. Doch Bitterkeit ist es nicht, die Vera nach den Jahren in Gefangenschaft, dem Tod ihres Mannes und dem Zerreißen ihrer Familie erfüllt. Vor einem Jahr sagte sie bei der Einweihung des Memorials für den einst verhassten Diktator – ein pompöser Ausdruck überflüssigen Luxus in einem der ärmsten Länder der Welt: „Ich habe ihm schon vor langer Zeit verziehen. Lasst das Vergangene vergangen sein.“

Vera Chirwa:
Im Alter von 73 Jahren kandidierte Vera Chirwa 2004 als erste Frau des Landes für die Präsidentschaftswahlen. Später zog sie jedoch ihre Bewerbung wieder zurück. Im selben Jahr wählte sie die Tageszeitung „Malawi Nation“ wegen „ihrer anhaltenden Bemühungen für die Wahrung der Menschenrechte des demokratischen Malawi“ zur „Frau des Jahres“.

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