New York. Die Nacht Manhattans hat viele Gesichter. Während sich, sobald es dunkel wird, die Straßen in Soho und im Village mit noch mehr Leben füllen und die Menschen in Restaurants und Clubs strömen, ist es im südlichen Teil Manhattans fast gespenstisch still und leer. Mitten im tagsüber hektisch geschäftigen und proppenvollen Zentrum der Finanzmacht, nur wenige Blocks von der Wall Street entfernt, ragt ein Turm in den New Yorker Nachthimmel. Der Criminal Court liegt im Dunkeln versteckt und ist fast nur für Eingeweihte auffindbar. Wer die in mattes Licht getauchte Eingangshalle betritt, rennt fast in eine Sicherheitsschleuse samt Metalldetektor.
Dahinter steht regungslos ein Koloss von einem Polizisten. Er bleckt seine Zähne, als sich sein Gesicht zu einem strahlenden Grinsen verzieht. „Night Court? Please take off your jackets and empty your pockets. Do you have any weapons?“ Jacke ausziehen, Taschen leeren. Nein, keine Waffen. Dann zeigt er den Weg nach rechts zu den Gerichtssälen, wo die Verhandlungen um 22 Uhr weitergehen. Wer die Geschichten von Schlägern, Drogenhändlern und Taschendieben nicht nur im Fernsehen bei „Law & Order“ oder auf den Broadway-Bühnen sehen will, ist bei den nächtlichen Sitzungen des New Yorker Gerichts genau richtig. Hier ist das echte Leben. In den Abendstunden, wenn keine großen Prozesse laufen, werden Bagatellfälle abgearbeitet. Jeder kann zuschauen – und unter Touristen hat sich das inzwischen herumgesprochen.
Das Gericht entscheidet jährlich 100 000 Mal überUntersuchungshaftverlängerungen und Kautionen, zwischen 70 und 90 Fälle werden in der Nachtschicht von 17 Uhr bis ein Uhr morgens durchgeschleust. Ein für Deutschland unvorstellbares Schnellverfahren. Eine Auswahl von schillernden Existenzen hat sich bereits auf den hölzernen Bänken vor den beiden Gerichtssälen eingefunden. Zwei aufgerüschte Damen, eine in goldenen Leggins, unterhalten sich angeregt und unüberhörbar über ihre Geschäfte. Daneben ein Polizeibeamter samt seinem Gefangenen. Auch dabei: eine sich vor und zurück wiegende Frau, die leise summt. Ein in schwarze Kapuzenpullis gekleidetes Trio schnattert aufgeregt durcheinander. Es geht um einen Kumpel, der offensichtlich unlängst verhaftet wurde und nun in Untersuchungshaft sitzt wie all die anderen, über die das Gericht gleich entscheiden soll.
Alle Gespräche verstummen, als die Anwälte, weitere Polizisten und Gerichtsmitarbeiter geschäftigen Schrittes vorbeirauschen. Schweigend erheben sich alle und tappen durch eine der Türen zum Saal. Es wird ernst. Plötzlich öffnet sich rechts eine Tür, der Richter in schwarzer Robe stürmt herein. Rund um sein Pult sitzen Polizisten an drei Bildschirmen, um Personalien aufzunehmen. Die Tür links geht auf und macht den Blick frei in einen Raum mit Gitterstäben bis zur Decke. Zehn mit Handschellen Gefesselte werden hereingeführt.
Dann geht alles rasend schnell. Ein Name nach dem anderen wird aufgerufen. Der erste Gefangene tritt hervor, wird fotografiert. Er wird dem Richter vorgeführt, der nach einem kurzen Dialog zwischen Staatsanwalt und Verteidiger fast im Minutentakt entscheidet. Darüber, ob der Angeklagte auf Kaution freikommt oder weiter in U-Haft bleibt und wieder hinter der linken Tür verschwinden muss. Es ist ein Kommen und Gehen.
Auch wenn einem schon nach kurzer Zeit der Kopf schwirrt und man immer weniger durchblickt durch das juristische Prozedere in schier atemlosem Tempo und durch die wahnwitzigen Geschichten aus dem Halbdunklen New Yorks. Kein Stück auf dem Broadway könnte fesselnder und authentischer sein.
Hallo,
Ganz genau so haben wir es gestern auch erlebt. Es war sehr spannend das ganze Prozedere mal live mitzuerleben, auch wenn man tatsächlich nicht viel verstanden. Vielen Dank für den Artikel…auch wenn er schon von 2015 ist es immer genau so 😉