Die Hand darf niemals zittern. In den letzten Sekunden vor dem Start ist die ganze Aufmerksamkeit der beiden konkurrierenden HotRod-Rennfahrer auf den Arm des Startergirls konzentriert, das die Startfahne hochgereckt in der Hand hält. Jede falsche Regung könnte in dieser angespannten Situation zu einem Fehlstart führen.
Auch sonst ist die Aufgabe des Startergirls nicht zu unterschätzen. Sie müssen die Fahrer einweisen auf der Startlinie, das OK-Zeichen der Fahrer bekommen, den richtigen Zeitpunkt abwarten und die Flagge mit Schwung durchziehen. Dabei entscheiden Millisekunden. Mit einem Kontest hat sich Dynamite Betty als Startergirl zu der Race61 vom Roadrunners Rock and Motor Club qualifiziert. Von insgesamt 18 wurden 9 Damen von einer Jury und dem Publikum ausgewählt, nachdem sie ihr Können im Fahnenschwenken unter Beweis stellen mussten. Und dabei sexy aussahen, natürlich. Betty mit den feuerroten Haaren ist das erst Mal dabei. Die 28-Jährige weiß gar nicht mehr genau, wie sie auf den Gedanken kam, sich vor zwei wummernde, startbereite Rennautos zu stellen, die dann mit aufheulenden Motoren und kreischenden Reifen links und rechts an ihr vorbeizischen. Sie reizte der Nervenkitzel. Eigentlich arbeitet sie als Kindergärtnerin. Die 1,63 Meter große Frau mit den Maßen 95 – 63 – 88 modelt in ihrer Freizeit als Pinup und trat bereits als Burlesque-Tänzerin mit einer „Rotkäppchen-Nummer“ in der ersten Burlesque-Bar deutschlandweit auf, dem „Queen Calavera“ in Hamburg. Der Ritterschlag in der Welt des niveauvollen Striptease. Am liebsten mag sie „schön festgeschnürte Korsagen“. Ihre Wohnung schmücken Bilder von Elvis Presley, James Dean und Marilyn Monroe – an dunkelroten Wänden mit einem Tüll-Sonnenschirm als Lampe. Ein Auto hat sie nicht, liebt aber altes Autos: „Die sehen viel stylischer aus.“
Die ersten Meter entscheiden
Die Kupplung getreten, Gang drin und ein bisschen Gas geben – was geht dem Fahrer in diesen letzten Sekunden, in der grenzenlosen Anspannung vor dem Start durch den Kopf? Ist er nervös? Aggressiv? „Nichts geht mir durch den Kopf. Ich denke nur los, Flagge runter. Ich hoffe, gut wegzukommen und mich nicht zu verschalten. Dann ist die Achtel Meile meist schon rum, ohne dass ich in den dritten Gang schalten konnte.“ Werner Lüttich, 46, ist eigentlich Sozialarbeiter, aber nach der Arbeit schraubt er jeden Abend an seinem 34er Ford Sedan – dem Bonnie-and-Clyde-Fluchtauto, in dem das Bankräuber-Pärchen mit 400 Kugeln durchsiebt wurden. „Ich nehme das nicht so bitter ernst, ich möchte fahren und schnell sein, das ist alles.“ Entscheidend sind dabei ein guter Start, das Wegkommen und die ersten Meter. Manchmal, wenn ein Fahrer zu fest das Gas durchdrückt, bricht sogar die Hinterachse. Andere übertreiben es mit dem Reifen Aufwärmen. Damit die Reifen einen besseren Grip bekommen, lassen sie sie durchdrehen mit Burnouts – also so, dass die Autos zur Seite ausbrechen.
Auch bei Werner Lüttich waren die ersten Meter entscheidend. Schon ganz früh in seinem Leben brachten sie ihn auf die Spur. Er wuchs in Limburg an der Lahn auf dem Land auf. Mit 12 Jahren fährt er Motocrossrennen auf den Feldwegen. Noch vor seinem Führerschein mit 15 fuhr er einen umgebauten Käfer, dem später ein Renault 5 Alpin folgte. “Ich habe mich schon immer für Autos und Motoren interessiert“, sagt der kräftige tätowierte Mann heute. Seinen linken Unterarm ziert ein Schraubenschlüssel – „natürlich mit Zoll, nicht mit metrischen Maßen“ – gekreuzt mit einer Zündkerze – seinen rechten einen Ford Coupé.
Die Spuren der Zeit
Nach seinen ersten Autos folgten alte Opel und VW, schließlich alte Amerikaner, inzwischen werden seine Autos alle zwei Jahre um zehn Jahre älter, so dass er nun in den 30er Jahren angekommen ist. Sein Ford hat 40 Jahre in einer Scheune in Cleveland gestanden. Er entdeckte ihn auf Ebay, ein Freund fuhr aus New York hin, ein anderer machte einen Container klar zum Verschiffen. Bis auf die Zündspule und das Lincoln–Lenkrad ist alles an dem schwarzen Auto der seitengesteuerten Flathead-Klasse original. Der beige gepolsterte Innenraum verströmt musealer Nostalgie, die leicht muffig riecht. Auf dem Rücksitz sorgen ein Aschenbecher und ein Rollo an der Rückscheibe für Komfort. Die Türen sind Suizide-Türen, die nach hinten aufklappen und somit bei einem Hasenfuß-Rennen hinderlich sind. Wenn zwei Wagen auf einen Abgrund zurasen, wie in dem Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, bis der erste rausspringt, der Hasenfuß – kann diese Tür den Tod bedeuten. Werner Lüttich würde nie auf die Idee kommen, den leicht verschleierten Lack zu erneuern. „Ich mag es, wenn man die Spuren der Zeit sieht.“ Mit seinen 135 km/h war es 1934 das schnellste Auto seiner Zeit und verbraucht rund 20 Liter.
Auch sonst scheint man sich in der Werkstatt auf der Insel Eiswerder in Berlin in einer anderen Epoche zu befinden: An den Wänden hängen Bilder von Marilyn Monroe, Pinups und Tankstellen-Werbungen der 50er Jahre, Nummernschilder, Öldosen aus dieser Zeit sind auf einem Balken aufgereiht, ein 50er-Jahre-Bosch-Kühlschrank mit Chromgriff steht in einer Ecke. „Für mich bedeutet HotRod nicht Pomade und hochgekrempelte Hosen, sondern alte Sachen wertschätzen und der Respekt vor Dingen aus vergangenen Zeiten.“ Mit Sorge betrachtet Werner Lüttich die Entwicklung der letzten Jahre in der Szene hin zum Mainstream und zu Massenkompatibilität. „Ich mag es überhaupt nicht, wenn die Leute nicht hinweinwachsen, sondern sich die Hosen hochkrempeln, ein Auto kaufen und dazugehören wollen. Das ist merkwürdig.“ Er ist Mitglied im „Lifters CC“ (Car Club), dem deutsche Ableger eines traditionellen Clubs, der sich 1948 in Kalifornien gegründet hat und benannt ist nach einem Motorenteil, das zuständig ist für die Motorsteuerung. In dieser Zeit schossen Autoclubs dort aus dem Boden, die sich nach Autoteilen benannten. Auf den Schrottplätzen heraus entwickelte sich dort diese Kultur Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts, weil dort Massen an ausgemusterten Ford T und A Modellen vor sich hin rosteten. Die jungen Menschen entfernten, „choppten“, alles von der Karosse, was die Geschwindigkeit drosselte, Lichter, Kotflügel, Motorhauben und Windschutzscheiben, und tunten die Motoren, um die Autos dann in die Flächen der Salzseen für Beschleunigungsrennen schickten. Worum es seiner Meinung nach in der HotRod-Kultur geht? „Freundschaft, Tradition und Spaß.“